Widerstand – der Sinn hinter dem Unsinn
Es ist irritierend und spannend zugleich, zu beobachten, wie die meisten Menschen an einem Problem, ihrer Krankheit oder einer leidvollen Geschichte festhalten, sich mit ihr, den eigenen Erinnerungen und Gefühlen identifizieren, obwohl Veränderung, Er-lösung und Genesung zum Greifen nahe sind. Als ich das erste mal entdeckte, dass sowohl körperliche als auch seelische Leiden steuerbare Prozesse sind, dh wir uns selbst krank und gesund machen, ohne es zu bemerken, bekam das Phänomen “Widerstand” eine wichtige Bedeutung für mich.
Freud prägte den Widerstands-Begriff innerhalb der Psychologie und beschrieb damit ‘jegliche Störungen während der Therapie, die das Weiterkommen, das Aufdecken oder Auflösen von Konflikten verhindert’.
Wenn wir uns umschauen, werden wir feststellen, dass Widerstand eher die Regel als die Ausnahme darstellt. Er zeigt sich nicht nur während einer Therapie, wie Freud es feststellte, sondern bereits im Vorfeld durch unbehandelte Beschwerden, körperlicher oder emotionaler Art. Durch das Ausharren, das Nichtangehen von Konflikten, durch mangelnde Bereitschaft nach Innen zu schauen, um wahrzunehmen und zu fühlen. Durch Verrationalisierungen, Rechtfertigungen, Projektionen und Schuldzuweisungen, durch Vergessen von bereits Erkanntem, durch Nichtsehen von Offensichtlichem.
Was hat es damit auf sich, wenn wir Menschen einen Widerstand gegen unsere eigene Heilung, unseren Erfolg, gegen Versöhnung oder unseren persönlichen Seelenfrieden aufbauen?
Um diese Paradoxie zu begreifen, ist es hilfreich sich Folgendes zu fragen: ‘Wozu ist die Krankheit, die Verrationalisierung, das Nichthinschauen, das Ausharren, der Konflikt oder das Leiden nützlich?’ ‘Wer oder was profitiert von dem ‘Problem’? Welche Funktion übernimmt die Krankheit, das Leidensthema und damit auch der Widerstand?
Denn Widerstand taucht auf, um etwas zu bewahren oder zu bewirken. Er arbeitet nicht zwingend gegen etwas, trotz seiner dysfunktionalen Wirkung, sondern für etwas, das einen Sinn für uns erfüllt – auch wenn dieser nicht gleich ersichtlich ist. Er ist ein Mittel zum Zweck, ein intelligenter Mechanismus unseres Systems. Hinter dem Festhalten am Leid verbirgt sich meistens das Gefühl der Angst, genaugenommen die Angst vor sich Selbst. Die Sorge vor der Begegnung mit den eigenen Schatten, Gefühlen, verdrängten Erinnerungen und der eigenen Wahrheit.
Das ‘verrückte Ich’, das Ego, der Ego-Verstand – es gibt verschiedene Bezeichnungen für diese Instanz – hält Leid gerne aufrecht, weil es sich damit identifiziert. Fällt das Leid weg, fällt auch eine Indentifikation an die damit verbundene Geschichte weg. Damit entsteht eine Leere. Oder die Leere, die schon immer da war, entblößt sich und wird offenkundig.
Mit dieser Leere umzugehen, ist gar nicht so einfach, wenn sie jahre- oder jahrzehntelang vermieden wurde. Sie wirkt verständlicherweise bedrohlich, dieses nackte Sein, ohne Geschichten, Identifikationen und Projektionen.
Nachvollziehbar, dass das gewohnte Leid sogar komfortabel erscheint: ‘Lieber im bekannten und sicheranmutenden Morast dümpeln, als einen Fuß ins ungewohte Terrain der Nichtsigkeit oder der verborgenen Gefühle wagen?!’ Das leidvolle Szenario hat demnach – meist auf einer unbewussten Ebene – etwas sehr Wertvolles zu bieten, nämlich Schutz und vor allem Stabilität!
Die vermutlich größte und undeutlichste Angst, die wir haben, ist wahrscheinlich die vor unserem eigenen Potential. Die Angst davor zu erkennen, dass wir uns oft selbst sabotieren, die Lösung und der Frieden viel näher sind als wir ahnen oder zulassen. Dass wir uns die Erlebnisse zwar nicht bewusst aussuchen, unsere Erlebniswelt allerdings selbst bestimmen können. Die Angst davor, Verantwortung für sich und das Leben zu übernehmen. Es wirkt verlockender, sich in der eignen Ohnmacht von Kranhkeit oder Leid einzurichten, als die selbst geformten Grenzen zu erkennen und sich daraus zu befreien.
Der Widerstand ist folglich nicht nur eine destuktive oder passiv-aggressive Ausdrucksform, sondern erfüllt eine wichtige Funktion in unserem Leben und in unseren Beziehungen, zu anderen und zu uns selbst. Wenn wir diese entschlüsseln, den Sinn, die verborgene Kompetenz und Sehnsucht hinter Symptomen oder der eigenen Leidensgeschichte verstehen, ist ein großer Schritt in Richtung Selbsterkenntnis und somit auch Selbstermächtigung vollzogen.
Dabei gilt es nicht den Widerstand zu verfluchen, auszutricksen oder zu umgehen, sondern ihn anzuerkennen und miteinzubeziehen. Eine Wendung, die sich lohnen kann, wenn einem die eigene Entwicklung sowie das eigene Wohlbefinden am Herzen liegen.
Viel Freude beim Forschen!
Schiller Metran
Unsere tiefste Angst
“Jeder Mensch ist dazu bestimmt, zu leuchten.
Unsere tiefste Angst ist es nicht,
ungenügend zu sein.
Unsere tiefste Angst ist es,
dass wir über alle Maßen kraftvoll sind.
Es ist unser Licht, nicht unsere Dunkelheit,
das wir am meisten fürchten.
Wir fragen uns, wer bin ich denn,
um von mir zu glauben, dass ich brillant,
großartig, begabt und einzigartig bin?
Aber genau darum geht es,
warum solltest Du es nicht sein?
Du bist ein Kind Gottes.
Dich klein zu machen nützt der Welt nicht.
Es zeugt nicht von Erleuchtung, dich zurückzunehmen,
nur damit sich andere Menschen um dich herum
nicht verunsichert fühlen.
Wir alle sind aufgefordert, wie die Kinder zu strahlen.
Wir wurden geboren, um die Herrlichkeit Gottes,
die in uns liegt, auf die Welt zu bringen.
Sie ist nicht in einigen von uns,
sie ist in jedem.
Und indem wir unser eigenes Licht scheinen lassen,
geben wir anderen Menschen unbewusst die Erlaubnis,
das Gleiche zu tun.
Wenn wir von unserer eigenen Angst befreit sind,
befreit unser Dasein automatisch die anderen.”
Diese Zeilen sind bekannt geworden durch die Antrittsrede von Nelson Mandela 1994 in Pretoria / Tshwane – ursprünglich wurden sie von Marianne Williamson verfasst („A return to love“).